Schon wieder von der Wehmut

Hanni • 21. September 2025

Kurz vor der Alp-Abfahrt


Es ist einer der letzten Morgen, an denen wir unsere Kühe melken. Und es ist schon wieder ein Abschied. Unser Lebensstil hat es so an sich, dass wir permanent Neues entdecken – aber dazu gehören auch immer die Abschiede von den Orten, Menschen und Tieren, die wir vor gar nicht allzu langer Zeit kennengelernt haben.


Das ist mir klargeworden, als ich mit dem Melkaggregat (Milchmaschine für Nicht-Landwirte 😉) wie immer zu meiner ersten Kuh gegangen bin: Delfine, von mir in letzter Zeit liebevoll Fienchen genannt. Sie hat sehr helles Fell, vom Körperbau ist sie ziemlich groß und mehr wie ein Stier. Wenn man sie krault, dann „krault“ sie zurück, in Form von Schlecken mit ihrer Zunge, was super lieb ist, sich aber auf der Haut am Arm ganz schön rau anfühlt. Aber was tut man nicht alles, um Teil der Herde zu sein! Auf jeden Fall ist morgen Alpabtrieb bzw. Alp-Abfahrt, wie ich Tobi seit Tagen korrigiere. Es ist zu weit von der Alp im Kanton Vaud zum Hof in Gstaad, Kanton Bern; deshalb werden unsere Kühe gefahren. Wir verstehen das völlig, aber es fehlt uns dennoch das gemeinsame Nach-Hause-Gehen mit den Kühen. Denn das ist ein Abschied, bei dem man sich voll und ganz auf die Kühe und ihre neugierigen Ausbruchsversuche vom Weg konzentrieren muss. Man ist angestrengt vom Hinterher-, Vorneweg-, Ausbrecher-in-die-Spur-bringen-Laufen und nimmt dennoch den Weg ins Tal in einem langsamen Tempo wahr.


Bei der Alp-Abfahrt dauert es nicht lange und die Kühe werden in den kleinen Transporter verladen, schwups, die kurvige Straße ins Tal gefahren und dann springen sie dort auf die nächste Weide. Ab da sind sie nicht mehr in unserem Verantwortungsbereich. Wenn wir Glück haben, erkennen sie uns noch am Geruch und meiner klangvollen hellen Stimme (wer sie noch nie beim Singen bzw. Rufen gehört hat, dem sei verraten, dass das hier ironisch gemeint ist). Aber meistens gehören wir Älpler ab dem Alpabtrieb nicht mehr zur täglichen Lebensrealität unserer Kühe. Das ist hart für uns, aber nicht für die Kühe. Sie haben dort wieder ihren Bauern, den sie seit ihrer Geburt kennen, der schon so viele Jahrzehnte länger Erfahrung hat mit dem Melken, den Kühen und den Weiden. Wir wissen, dass er sie gut behandelt, gut pflegt, aber wir wissen auch, dass er die Entscheidungen fällen muss, welche Kühe wann gehen werden. Denn er ist der Hauptverantwortliche, auch wenn wir die letzten vier Monate auf seine Tiere geachtet haben.


Es ist aber nicht nur schwer von den Kühen auf der Alp Abschied zu nehmen – es ist im Grunde auch ein Segen für uns. Denn wir entscheiden nicht, ob eine Kuh geschlachtet werden muss. Wir entscheiden nicht, wann eine Kuh noch wirtschaftlich ist oder ob sie zu krank ist, um weiter zu leben. Wir müssen nicht die Rechnungen bezahlen für Mineralsalz, die Wartung der Melkmaschine, das kaputte Mähwerk, den neuen Laufstall, den Tierarzt, die Besamerin oder eine neue Käsejärbe. Die vier Monate großer Verantwortung für 23 Milchkühe und 5 Jungkühe, die Alp und den Käse sind gefolgt von einer Zeit der Entlastung. Aber ein emotionaler Abschied ist es dennoch; die Kühe sind Lebewesen, mit denen wir eine Beziehung aufgebaut haben. Soweit wir das erkennen können, vertrauen sie uns, folgen uns - manchmal zumindest - von der Weide in den Stall und strecken ihre Hälse, wenn wir sie kraulen. Sie sind flauschig, manche kuscheln gerne, andere wollen einfach nur in Ruhe gemolken werden. Wenn sie krank sind, reiben wir sie mit Salbe ein, lassen uns die Hände einquetschen beim Versuch, ihnen Medikamente zum Schlucken zu verabreichen, wir beobachten, ob sie humpeln und jagen ihnen im Stall hinterher, wenn sie beschließen, dass sie heute gerne das Salz von jedem anderen Kuh-Platz aufschlecken wollen. Am liebsten sehen wir sie beim Grasen rund um unsere Alp, in dieser wunderschönen Landschaft der Schweizer Alpen.


Wir geben unsere Kühe jetzt wieder zurück in verantwortungsvolle Hände; wir legen den Käse in den Gstaader Käsekeller und putzen die Alp so, dass sie im nächsten Jahr wieder bezogen werden kann. Unsere Aufgabe endet am nächsten Freitag. Und damit auch die wunderschöne Zeit auf der Alp La Neyrivue. Wir werden es vermissen hier zu sein, zu leben, zu arbeiten, zu wohnen und unseren Alltag mit den Kühen zu teilen.


Ps: Aber wer weiß, vielleicht nur bis zum nächsten Sommer…



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