Kuhliebe

Sennerin Hanni • 1. November 2022

Nach einem emotionalen Almabtrieb


Drei Wochen ist es jetzt her, dass wir nicht mehr im Berchtesgadener Land wohnen. Vor einigen Tagen sind wir aber noch einmal in die Ramsau gefahren und siehe da, auf einmal standen im Stall sechs neue kleine Kälbchen. Unsere Kühe haben endlich ihren Nachwuchs bekommen und sie sind tatsächlich zuckersüß. Ich durfte auch gleich zu ihnen, unsere Bäuerin hat schon das Gatter aufgehalten, damit ich gleich hineinschlüpfen konnte. Schon stand ich zwischen sechs niedlichen Kälbchen, die sofort begonnen haben, an mir herum zu schlabbern. Vorzugsweise haben sie an meiner Hose und dem Pullover gekaut oder an meinen Fingern. Der größte von den Kleinen hat mich ständig in den Bauch gehauen. Er wollte wohl alle Aufmerksamkeit, könnte man sagen, vermutlich ist es allerdings eher instinktiv, da Kälbchen normalerweise das Euter der Kuh anstupsen, um den Milchfluss anzuregen. Die zehn Minuten, die ich dort drin war, sind so schnell vergangen und jetzt wo wir wieder weggefahren sind, ist mir aufgefallen, wie sehr ich die Tiere und den nahen Kontakt zu ihnen vermisse. Jede Minute, die ich mit ihnen verbracht habe, hat mich glücklich gemacht.Aber im Alltag, wenn man mit dem Auto nach München fährt, sich im Tropeninstitut fünf Impfungen holt, zwischendurch noch versucht etwas zu essen zu bekommen und dann wieder mit dem Auto zum nächsten Termin jagt, dann vergisst man, wie schön die Zeit auf dem Hof war und man vergisst, wie glücklich, einen die Tiere machen. So glücḱlich, dass der Abschied sehr schwer fällt. Dazu ein paar Anekdoten vom Almabtrieb.


Gemessen am Weinen beim Abschied von unserem Almsommer unterscheiden sich Tobis und meine Art der Emotionalität erheblich; aber es zeigt die vielen Facetten unserer Zeit dort und wie wir an den Menschen, an dem Ort, an den Tieren und der ganzen Atmosphäre hier gehangen haben. Tobi hat quasi den gesamten Almabtrieb seine Tränen abgewischt – zwischen den unzähligen Videos, die er gedreht hat: vom Losgehen bei der Hütte, wo wir mit der ganzen Familie die Namen der Kühe gerufen haben, damit sie – stolz ihre wunderschönen riesigen Glocken tragend – uns Richtung Gatter folgen; vom Hinunterlaufen auf dem Wanderweg, bei dem ich genötigt wurde, vorneweg zu gehen („Geh fiere, Hanni!“), von unserem Bauern Seppi, der direkt hinter mir gegangen ist und die ersten Kühe leicht zurückgehalten hat, damit ich schön voranschreiten kann, von unserer Bäuerin Hannal, die unglaublich froh war, dass unsere Kühe so ruhig waren in diesem Jahr, von den Bauernkindern, die professionell ihre Kühe in Schach gehalten haben, von den Helfern, die ebenso professionell in aller Ruhe die letzten beiden Kühe nach Hause gebracht haben (mit circa einer Stunde Verspätung – wie sich später herausgestellt hat mit gutem Recht, beide haben Zwillinge bekommen!), und von Seppi und Michi, die an verschiedenen Stellen unseres Weges mit ihren Trompeten bayerische Weisen gespielt haben. Als Tobis Mama unten am Weg gewartet hat, wo wir mit den Kühen den 

Berg heruntergekommen sind, als er mit mir, Hand in Hand, die letzten Meter vor den Kühen gelaufen ist. Man kann sich also vorstellen, dass der Almabtrieb feucht-fröhlich war. Nicht nur wegen Tobis rührender Tränen, sondern auch von dem vielen Schnaps, den uns liebe Nachbarn auf dem Weg zum Bauernhof angeboten haben und den man natürlich nicht ablehnen darf.


Ich habe mich natürlich genauso über die lieben Freunde gefreut, die tatsächlich beim Almabtrieb am Weg standen und uns gewunken haben! Über den geschafften Sommer, die gesunden Kühe, die feinen Käselaibe und meine neue Alltagszufriedenheit. Wann ich geweint habe? Zwei Wochen vor dem Almabtrieb, als ich gerade den Hang hinaufgeschnauft war zu unseren kleinen Kälbchen Oimarausch, Lerchei, Zeder und Tapfer. Die mich zur Begrüßung abgeschlabbert haben und dann von sich aus die Almwiese hinuntergehüpft sind zum Stall, so dass ich gar nicht mehr hinterhergekommen bin. Ich habe ihnen zugesehen und in dem Moment flog ein Flugzeug über meinen Kopf. Da musste ich weinen, überwältigt von der Freude über unsere kleinen Tiere, denen wir beigebracht hatten, so wie hinlaufen müssen, die sich gefreut haben, wenn sie uns sehen und gleichzeitig von dem Sprung, dass wir in wenigen Wochen in einem solchen Flugzeug sitzen würden zu fernen Ufern und die Halsalm, die jetzt unser ganzes Universum war, auf einmal ein winziger Punkt auf dem Globus sein würde. Das hat mich etwas umgeworfen.


Tatsächlich traurig, so dass mich Tobi schluchzend auf der Weide festgehalten hat, war ich aber nur in einem Moment. Als ich mich von Buddal, meiner Lieblingskuh, verabschiedet habe, die ich täglich gestreichelt habe, die mich begonnen hat abzuschlecken als Teil ihrer Herde, die geduldig morgens und abends vorm Stall gewartet hat, bis alle anderen Kühe eingestallt waren und die neben mir den ganzen Almabtrieb vorneweg Richtung Hof gelaufen ist. Eine Wegbegleiterin, von der ich mich nun endgültig verabschieden musste. Im Gegensatz zu den lieben Menschen, denen wir auf Wiedersehen gesagt haben, konnte sie mir das jedoch nicht sagen. Ich glaube nicht, dass sie in dem Moment verstanden hat, dass wir uns länger nicht sehen und dass unsere gemeinsame tägliche Zeit nun vorbei ist. Für mich ist das das Essentielle einer Tier-Mensch-Beziehung geworden. Man kann sie nur im Augenblick leben, man nimmt sie nicht mit, man telefoniert nicht, man schreibt keine Emails, man kann sich nicht mal sagen: bis bald, ich hab dich gern, es war schön mit dir. Es gibt keine Zukunft in dieser Beziehung, nur die pure Zeit, die man direkt miteinander verbringt. Das ist wunderschön und man spürt das Leben in diesen Moment in einer großen Glücklichkeit. Die Tiere sind einfach da – mit ihrer körperlichen Präsenz, mit ihrer Neugier, mit ihrer Zutraulichkeit, wenn man sich lange Zeit gut um sie gekümmert hat, mit ihrem Geruch und ihrer Wärme, ihrem Fell, ihren flauschigen Ohren, ihren dreckigen Schwänzen, ihren hochinteressanten Eutern, ihren langen Wimpern, den harten Hörnern, und den rauen Zungen. Doch wenn man Abschied nehmen muss, dann tut es weh; denn es gibt keinen Trost, wie wir Menschen ihn uns geben, indem wir uns versichern, dass wir uns bald wiedersehen und dass wir gemeinsam an die verbrachte Zeit denken. Mir ist das schlagartig bewusst geworden, als ich dort in der Ramsau auf der Weide stand, zwischen all den Kühen und mich verabschiedet habe. Es war ein einseitiger Abschied – die Kühe waren wie immer. Buddal hat mich einfach mit ihrer rauen Zunge abgeschleckt, ihren warmen, weichen Kopf an meine Beine gelegt und sich wohlig kraulen lassen. Zumindest ich werde das nie vergessen. Vielleicht 

bleibt auch den Kühen der Eindruck von zwei Sennern, die sie sehr gemocht haben.





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